Das Hohelied auf den Sozialstaat

LANDKREIS. Die SPD formierte sich zur klassischen Partei der sogenannten kleinen Leute, besann sich am Dienstag im Stader Rathaus beim Festakt zum 150-jährigen Bestehen der Partei in Stadt und Landkreis auf ihre Ursprünge. Festredner Franz Müntefering schrieb den Genossen ins Stammbuch, sich auch in der Zukunft auf die alten Werte zu konzentrieren und immer wieder für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen.

Festredner beim Empfang zum 150-jährigen SPD-Jubiläum im Stader Rathaus: der ehemalige Parteivorsitzende der Sozialdemokraten Franz Müntefering. Fotos Stephan

Sozialdemokrat Müntefering, der sich selbst noch nicht gerne zu den Urgesteinen seiner Partei zählen will – „so alt bin auch noch nicht“ – sang das Hohelied auf den Sozialstaat. Das Solidarprinzip sei der Garant von Demokratie und Gerechtigkeit und auch in der Zukunft durch nichts zu ersetzen, so der ehemalige Parteivorsitzende weiter. Es sei wichtig, dass Menschen, die Hilfe brauchten, diese nicht nur bekämen, sondern vor allem einen Anspruch darauf hätten.

Die zweite Säule seiner Partei sei historisch der Kampf für die Frauenrechte gewesen. Auch das sei nach wie vor eine Herausforderung der Zukunft für die Sozialdemokratie, sagt Müntefering. Es sei in diesem Land noch längst nicht geschafft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen. In dieser Frage könnte sich die SPD profilieren, wie sie es ja auch in den vergangenen 150 Jahren getan habe.

Die SPD stehe für soziale Gerechtigkeit, für Widerstand und ständige Erneuerung. Als Beleg dafür verwies Müntefering auf viele Stationen in der Geschichte seiner Partei, die immer in unmittelbarer Verbindung mit der Arbeiterbewegung gestanden habe. Müntefering nannte große Namen der SPD – vom Männern der ersten Stunde wie Ferdinand Lassalle und August Bebel bis hin zu Willy Brandt, den er immer wieder als großen Sozialdemokraten erwähnte.

Wie diese Männer Welten verändert hätten und neue Wege gegangen seien, so sei es heute gegeben, mit dem gleichen Mut ein großes Zukunftsthema anzugehen: die Auswirkungen des internationalen Finanzkapitalismus, wie Müntefering es formulierte. „Das ist ein Kapitalismus wie vor 150 Jahren. Und den müssen wir in den Griff bekommen.“

Dass die Sozialdemokratie für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit stehe, betonte auch die Stader SPD-Landtagsabgeordnete Petra Tiemann in ihren Grußworten während des Festaktes, den die Stader SPD-Ratsfraktion ausgerichtet hatte. Tiemann bedankte sich ausdrücklich bei den vielen Ehrenamtlichen, die sich in der Partei und in der Kommunalpolitik engagieren.

Stades SPD-Bürgermeisterin Silvia Nieber erinnerte an einige Parteigrößen in der Stader Politik, unter denen sie den mittlerweile verstorbenen Stader SPD-Bürgermeister Heinz Dabelow besonders hervorhob. Und speziell für Franz Müntefering erzählte sie die kleine Anekdote von ihrer 17-jährigen Hannoveraner Nichte, die von dem längst nicht mehr aktiven Müntefering so begeistert ist. „Bei dem versteht man immer, was gemeint ist“, hatte die Nichte ihre Begeisterung für „Münte“, wie er gerne von seinen Parteigenossen tituliert wird, erklärt.

Einige Anekdoten von seinen Erlebnissen mit allerlei SPD-Größen gab auch TAGEBLATT-Chefredakteur Wolfgang Stephan in seiner launigen Rede zum Verhältnis von TAGEBLATT und SPD zum Besten. So erfuhren die Gäste die Geschichte mit dem damals noch relativ unbekannten Politiker Gerhard Schröder, den Stephan 1983 mit dem Sietas-Chef J.J. Sietas zusammengebracht hatte. Aber das Gespräch kam nicht in Gange: Er spreche nicht mit Kommunisten, komplimentierte Sietas die Gruppe wieder nach draußen. Geschrieben hatte Stephan nicht darüber, aber im Gegenzug ausgehandelt, dass Schröder ihm ein Interview geben müsste, in dem der eine echte Neuigkeit verkündete.

Gerhard Schröder hielt sein Versprechen und forderte wenig später im TAGEBLATT als erster SPD-Politiker 1983 seine Partei auf, die Grünen nicht länger auszugrenzen. Das war damals eine politische Sensation und ging als Meldung durch die ganze Republik.
 

STADER TAGEBLATT vom 22-05.2013