


„Das Gegenteil einer Rampensau“, schrieben die Kollegen in Hannover vor der Landtagswahl über den SPD-Aufsteiger, der allenfalls seit sechs Jahren den Insidern im Lande bekannt wurde, weil er 2006 den damaligen Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg beerbt hatte. Zuvor war der Jurist Kämmerer in Hannover und als Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter tätig. Am 20. Januar ging er aus einer dramatischen Wahlnacht als Sieger hervor.
Und er genießt den Job als Ministerpräsident – jedenfalls sagt er das, und seine Laune gestern ließ nicht das Gegenteil erahnen. Von Stades Bürgermeister Silvia Nieder im Rathaus freundlich empfangen, hörte er sich geduldig deren „kleine Sorgen“ an, Hafenentwicklung, Industriegleis, Autobahn. Am Ende stellte Stephan Weil süffisant fest: „Unter dem Strich geht es Euch sehr gut in Stade.“
Entsprechend gut gelaunt machte er sich später auf den Törn gen Fischmarkt und Pferdemarkt. Eine sächsische Reisegruppe erkannte ihn zuerst, bat um Fotos. Spätestens als die Genossen der Stader SPD mit Unmengen von roten Rosen auftauchten, war der Ministerpräsident in seinem Element und spielte den Rosenkavalier.
Mit viel Geduld ließ er sich mit Jung und Alt fotografieren, und als der Ex-HSV-Masseur Hermann Rieger plötzlich vor ihm stand, gab es eine freundschaftliche Umarmung, die beiden seien alte Kumpels, sagten sie. Später waren sie sich einig: Der HSV müsse viel besser spielen, mindestens so gut wie seine große Liebe Hannover 96. Am wichtigsten aber sei, dass beide Nordvereine gegen Werder Bremen gewännen.
Und Politik? Die spielte wenig später auch eine kleine Rolle, als Stephan Weil in der Seminarturnhalle vor den geladenen Vertretern der Hilfsorganisationen ans Mikrofon trat und den Bogen vom „schönen Stade“ in die bundesdeutsche Realität spannte. „Es ist schön in Stade, es ist schön in diesem Lande zu leben, aber wir müssen bei näherem Hinsehen auch vorsichtig sein, dass nichts ins Rutschen kommt.“
Sozialpolitisch seien die so genannten „Werksverträge“ immer bedenklicher, weil immer mehr Arbeitnehmer keine Vollarbeitsplätze mit sozialer Absicherung hätten. Jeder vierte Arbeitnehmer verdiene unter 8,50 Euro die Stunde. Das habe zur Folge, dass viele zum Amt gingen, um staatliche Hilfe zu beantragen. Weil: „Ich kann verstehen, dass diese jungen Menschen in dieser Situation keine Familie mit Kindern gründen wollen.“ Die soziale Absicherung sei eines der großen Probleme des Landes. Die Politik müsse aufpassen, „dass die Schere nicht weiter auseinander klafft, dass es einigen immer besser und vielen immer schlechter geht“.
Die Lösung des SPD-Ministerpräsidenten ist nicht überraschend: „Ich wünsche mir eine andere Politik im Bund“.
Im Interview mit TAGEBLATT TV hatte er zuvor bereits Optimismus gezeigt und den Wahlsieg von Peer Steinbrück für möglich erklärt. „Wer denn sonst?“, fragte er rhetorisch. Seine Begründung: Die Anhängerschaft von CDU und FDP sei „ausmobilisiert“, während bei der SPD noch ziemlich viel Luft nach oben sei. Es war so ziemlich der einzige Moment, bei dem er gestern nicht gelächelt hatte.
STADER TAGEBLATT vom 28.08.2013